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H.B.

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Alkmaion, Empedokles und die Tiere. 

Zwischen dem 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. gab es in Griechenland zwei Philosophen, die gegensätzlicher kaum sein konnten: Alkmaion und Empedokles. Beide verkörpern, insbesondere was das Verhältnis des Menschen zum Tier angeht, Einstellungen, die sich bis heute unversöhnlich gegenüberstehen.

Alkmaion war ein jüngerer Zeitgenosse von Pythagoras, dessen Lehre er nahestand. Er war jedoch nicht nur Philosoph, sondern auch Arzt, der mit seinen Forschungen “einen Ehrenplatz in der Geschichte der griechischen Wissenschaft einnimmt” (Wilhelm Capelle, Die griechische Philosophie). Diesen “Ehrenplatz” verdiente er sich durch Tierversuche, die in ihrer ganzen Scheußlichkeit hier nicht beschrieben werden sollen. Jedenfalls war Alkmaion der erste bekannte Tierexperimentator der abendländischen Wissenschaft. Ein weiteres  “Verdienst” (so Capelle) bestand darin, daß Alkmaion den “fundamentalen Unterschied” zwischen Mensch und Tier feststellte: Nur der Mensch denke, die anderen Wesen hätten nur sinnliche Wahrnehmungen. Damit war Alkmaion nicht nur der Stammvater aller heutigen Tierexperimentatoren, sondern auch der erste in einer Reihe, die von Aristoteles über Thomas von Aquin und Descartes bis zu Kant führt - alles einflußreiche Philosophen, die entscheidend dazu beitrugen, daß Tiere als denkunfähige Wesen im Abendland immer mehr abgewertet und wie Sachen behandelt wurden.

Die griechische Philosophie stand jedoch auch in dem Jahrhundert nach Alkmaion noch unter dem Einfluß von Naturphilosophen. Diese Philosophen, die - da sie vor Sokrates lebten - auch als Vorsokratiker bezeichnet werden, hatten überwiegend ein ganzheitliches Naturverständnis. Es beruht darauf, daß die Natur als eine Ganzheit gesehen wird, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Zu den vorsokratischen Naturphilosophen gehörte eine der merkwürdigsten und eindruckvollsten Gestalten der Philosophiegeschichte: Empedokles.

Empedokles war nicht nur Philosoph, sondern auch Arzt, Naturforscher, Priester, Magier, Mystiker, Seher - und das alles in einer Person! Verständlich, daß er von vielen seiner Zeitgenossen bewundert, ja von seinen Anhängern sogar als Gott verehrt wurde. Seine Weltsicht beruhte  nicht auf philosophischem Grübeln und bloßem Nachdenken, vielmehr war sie im wahrsten Sinne das Wortes eine “Sicht”, ein mystisches Schauen. So sah er zwischen Mensch, Tier und Natur tiefe metaphysische Zusammenhänge, welche sich dem heutigen Naturwissenschaftler, der sich auf das rein analytische Forschen und rationale Denken beschränkt, nicht offenbaren.

Als Naturforscher kam Empedokles zu Erkenntnissen, durch die er seiner Zeit mehr als 2000 Jahre (bis zur Darwinschen Entwicklungslehre) voraus war! Er hatte - wie Capelle schreibt - “eine merkwürdig frühe Erkenntnis der stufenweisen Entwicklung alles Organischen, dessen einzelne Bereiche seinem Tiefblick noch nicht durch unüberbrückbare Klüfte geschieden sind; denn Pflanzen, Tiere und Menschen umschlingt ein gemeinsames Band. Der Unterschied zwischen ihnen ist nur ein stufenmäßiger, nicht ein wesentlicher ...”

Der “Tiefblick” von Empedokles ging jedoch noch tiefer, denn er lehrte, daß zwei Kräfte, die er “Liebe” (philia) und “Streit” (neikos) nannte, alles Geschehen im Kosmos bestimmen würden. Liebe sei das vereinigende und Streit das trennende Prinzip. Eine ähnliche Erkenntnis findet sich - jedoch mehr als 2000 Jahre später - in der Philosophie Schopenhauers. Denn für Schopenhauer war es das Mitleid, das Mitgefühl, welches alles Trennende zwischen den Wesen, also auch zwischen Mensch und Tier, mehr und mehr überwindet, bis schließlich im Erleuchtungserlebnis die Einheit allen Seins erfahren wird. Hierbei geht es um spirituelle Erfahrung, die auch  den östlichen, vor allem indischen Weisheitslehren, zugrundeliegt. Obgleich diese Erfahrung nicht durch bloße Worte und Begriffe zu vermitteln ist, dürfte doch verständlich sein, daß es dabei zu einer völlig anderen Einstellung des Menschen zum Tier kommt. Mensch und Tier werden als Teil eines untrennbaren Ganzen gesehen, als Geschwister einer Familie.

Als Mystiker ging es Empedokles um das Schicksal der Seele. Er stand zwar in dieser Hinsicht der orphisch-pythagoräischen Lehre nahe, seine tiefen Einsichten gewann er jedoch “auf Grund eigenen inneren Schauens und Erlebens” (Capelle). Die Seelen - so Empedokles - seien vom “Himmel” auf die  Erde verschlagen, wo sie an diesem “freudlosen Ort” herumirren. So müssen sie durch unzählige Leiber von Tieren und Pflanzen wandern, bis sie einst durch ein geläutertes, reines Leben wieder zu einer göttlichen Einheit zurückfinden. Ein solches reines Leben - das war für Empedokles selbstverständlich - gebietet die Schonung und Achtung allen Lebendigen. Tiere zu töten und von ihrem Fleisch zu essen, empfand Empedokles als scheußlichsten Frevel. Die Leiber der getöteten Tiere seien “gepeinigter Seelen Wohnsitze”, und so rief Empedokles voller Zorn den fleischverzehrenden Ruchlosen zu:

“Wollt ihr nicht lassen vom gräßlichen Morden? Fühlt ihr nicht, daß ihr einander zerfleischt im finsteren Wahne?
...Wehe mir, daß mich nicht vorher ein erbarmungsloser Tag sterben ließ, bevor ich den grausamen Gedanken faßte, meine Lippen zu weiden an gräßlichem Fraße!”

Empedokles und Alkmaion, das bedeutet ganzheitliches Naturverständnis auf der einen und analytische (die Ganzheit zerlegende und damit - wie die Tierversuche zeigen - oftmals Leben zerstörende) Wissenschaft auf der anderen Seite - ein Gegensatz, der sich bis heute in der Einstellung des Menschen zum Tier widerspiegelt.

                             Herbert Becker