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Zur Geschichte des

Vegetarismus

“ Denn nicht entsteht  ja Fleisch aus Gras, Holz oder Stein! Von der Tötung von Kreaturen kommt das Fleisch, deshalb ist sein Verzehr Sünde!”
                                           (Mahabharata, altindisches Epos)

Eine der ältesten, heute noch existierenden Religionen ist die dem Buddhismus nahestehende Jaina-Religion, die sich vor weit mehr als 2500 Jahren in Indien herausbildete. Ein Grundmerkmal dieser Religion ist ihr konsequentes Eintreten für Tierschutz und Vegetarismus. In dieser Hinsicht ist der Jainismus unter den Religionen einmalig. Das Ideal der “Ahimsa”, der Gewaltlosigkeit zu allen Lebewesen, ist den drei indischen Religionen - Hinduismus, Buddhismus und Jainismus - gemeinsam. Für die Jainas ist das selbstverständlich mit einer vegetarischen Lebensweise verbunden, denn, wie es in einer von ihnen herausgegebenen Schrift ( “Glimpses of Jainism”, Delhi 1970) heißt:

“Wenn jemand seinen Körper durch das Fleisch anderer Lebe- wesen mästet, so ist seine Verehrung der Ahimsa, der Gewaltlosigkeit, in Wahrheit scheinheilig.”

Nicht nur Jainas, Buddhisten, Hindus und Taoisten können auf eine lange vegetarische Tradition zurückblicken, auch der westliche Vegetarismus hat eine eindrucksvolle Vergangenheit. Pythagoras, Empedokles, Sokrates, Platon, Plotin waren Vegetarier, welche die abendländische Philosophie prägten. Daneben gab es bis zum Mittelalter große religiöse Strömungen, in denen die fleischlose Lebensweise weit verbreitet war. So lebten viele Gnostiker, Manichäer und Katharer vegetarisch. Diese religiösen Bewegungen und mit ihnen der Vegetaris- mus wurden jedoch von der Kirche als Ketzerei oder Rückfall in das Heidentum gewaltsam unterdrückt und schließlich vernichtet.

Kennzeichnend für das von Anfang an problematische Verhältnis der Kirche zum Vegetarismus ist der bis heute nicht aufgehobene Bannfluch, den Papst Johannes III. (561-574) gegen Vegetarier verhängte: “Wenn jemand Fleischspeisen, die Gott den Menschen zum Genuss gegeben hat, für unrein hält und ... auf sie verzichtet ... sei er mit dem Bannfluch belegt.” Ganz in diesem Geiste wurden im Jahre 1051 durch die Bischofsversammlung in Goslar Ketzer, die sehr wahrscheinlich Vegetarier waren, zum Tode verurteilt, weil sie sich geweigert hatten, Hühner zu töten. * 

Erst durch die Aufklärung im 18. Jh. bekam der Vegetarismus die Chance zum Neuanfang. Voltaire und Rousseau waren bedeutende Philosophen jener Zeit und Vegetarier. Dennoch dauerte es noch viele Jahre bis sich die Vegetarier zusammenschlossen. 1847 wurde in England die Vegetarian Society gegründet, welche heute die weltweit älteste vegetarische Vereinigung ist.

Tierschützer, Lebensreformer, Vertreter der Naturheilkunde trugen in der Folgezeit dazu bei, daß der Vegetarismus zahlreiche Anhänger gewann. Diese Entwicklung wurde durch die beiden Weltkriege und die politischen Umwäl- zungen unterbrochen. Da der Vegetarismus von seiner Ethik her pazifistisch ist, mußten seine Vereine ihre Arbeit im “Dritten Reich”, soweit diese überhaupt noch möglich war, immer mehr einschränken. Nach 1945 konnten sie ihre Tätigkeit nur in West-, nicht jedoch in Ostdeutschland wieder aufnehmen.

Seit den 70´er Jahren erhält die Arbeit der vegetarischen Vereine vor allem durch die Ökologiebewegung, aber auch durch den Kampf für Tierrechte neue Impulse. Schweinepest, Rinderwahnsinn, Skandale um die Massentierhaltung und Schlachttiertransporte beweisen, daß die vegetarische Lebensweise aktueller und notwendiger denn je ist. Inzwischen ist für viele Tierrechtler nicht bloß die vegetarische, sondern darüber hinausgehend, die vegane Lebensweise (die mög- lichst auf alle Produkte verzichtet, die mit Tierausbeutung zusammenhängen)  zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Für viele “Tierfreunde” hingegen bleibt das Thema Vegetarismus ein Ärgernis, denn der Zusammenhang zwischen Töten und Fleischessen kann nicht wegdiskutiert werden:

          “ Es denkt der Mensch zufrieden, froh:

             Ich bin kein Schlächter, blutig, roh;

             doch da der Mensch kein Wurstverächter,

             so trägt die Mitschuld er am Schlächter.”

                             (Eugen Roth)

                     

 Daten zum Vegetarismus in Deutschland

1867   gründeten Eduard Baltzer in Nordhausen und

1868   Gustav Struve in Stuttgart die ersten vegetarischen Vereine.

1882   wurden in Berlin, Leipzig und Wien die ersten vegetarischen Gaststätten

           im deutschen Sprachraum eröffnet.

1887   Eröffnung des ersten deutschen Reformhauses in Berlin.

1892   schlossen sich in Leipzig die beiden wichtigsten Vegetariervereine zum

           überregionalen Deutschen Vegetarier-Bund zusammen (1903: 1300

           Mitglieder).

1893   Gründung der genossenschaftlichen Obstbausiedlung Eden-Oranienburg

           (nur bis 1900 rein vegetarisch).

1908   wurde in Dresden die Internationale Vegetarier-Union gegründet, die

           seitdem zahlreiche Weltkongresse abhielt.

1935   Selbstauflösung des Deutschen Vegetarier-Bundes.

1946   Gründung der Vegetarier-Union Deutschlands, die heute (2003)

           Vegetarier-Bund Deutschlands heißt (1998: etwa 4000 Mitglieder).

2002   als wohl weltweit erste politische Partei befürwortet die Tierschutz-

           partei die vegetarische / vegane Lebensweise aus ethischen und

           gesundheitlichen Gründen.

Anm.:

* Ein Beispiel für christlichen Vegetarismus im Mittelalter ist das  > altrussische Mönchtum.

Herbert Becker

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